»Das erste Mal fühle ich mich in der Business-Welt nicht als Alien, Außenseiterin oder Irre.«

Im Netzwerk der Gemeinwohl-Ökonomie ist es völlig normal, die Wirtschaft verändern zu wollen. Das fühlt sich einfach richtig, sinnvoll und gut an.
Maria Kollar, Geschäftsführerin des Installateursbetriebes Kollar GmbH in Lilienfeld und Ihr Team agieren im Sinne der Gemeinwohl-Ökonomie

Was macht für Sie den Reiz der Gemeinwohl-Ökonomie aus?

Ich finde es toll, dass die Gemeinwohl-Ökonomie ein sofort umsetzbares Wirtschaftsmodell ist, natürlich nicht perfekt, aber das ist der Kapitalismus ja auch nicht und trotzdem leben wir seit Jahrzehnten danach. Sie basiert auf solidarischen, demokratischen und nachhaltigen Werten wie Wertschätzung und Kooperation und das entspricht meinen persönlichen Werten viel mehr als endloses Wachstum, Konkurrenz oder Profitgier. Es fühlt sich einfach richtig, sinnvoll und gut an!

Warum machen Sie eine Gemeinwohl-Bilanz?

Jede unserer Handlungen macht einen Unterschied und gerade als Unternehmer oder Unternehmerin kannst du entscheiden, welche Art von Unterschied du machen möchtest. Zu welcher Art von Leben möchte ich beitragen? Möchte ich Teil des derzeitigen Wirtschaftsmodells sein oder möchte ich zu etwas Neuem, einem gerechteren System beitragen? Das sind die Fragen, die sich meiner Meinung nach jedes Unternehmen stellen muss und dann konsequent danach handeln darf. Sinnhaftigkeit und Selbstwirksamkeit sind für unser Unternehmen sehr wesentliche Faktoren. Wir sehen es als unsere Pflicht und als Chance, in unserem täglichen Tun sowie in unserem Einflussbereich einen positiven Unterschied zu bewirken.

Der Unterschied zu einer normalen Finanzbilanz besteht darin, dass nicht nur die Zahlen zur Beurteilung von Erfolg oder Misserfolg herangezogen werden, sondern wie und mit welchen Kosten dieser Erfolg erwirtschaftet wird. Firmen können wirtschaftlich unfassbar erfolgreich sein, ihre Bilanzen sehen rein wirtschaftlich betrachtet großartig aus. Und gleichzeitig tragen sie nichts zum Gemeinwohl bei, im Gegenteil, sie verursachen mit ihren Produkten und Dienstleistungen großen gesundheitlichen oder sozialen Schaden und Umweltschäden. Gewinne werden privatisiert, Verluste ans Gemeinwohl ausgelagert – all das wird bei der GWÖ mit in Betracht gezogen.

Wann haben Sie mit der Gemeinwohl-Bilanz gestartet und was hat sich bisher dadurch verändert?

2015 habe ich das Buch „Gemeinwohl-Ökonomie“ von Christian Felber gelesen. Vom ersten Moment an hat mich fasziniert, dass es ein konkretes, sofort umsetzbares Wirtschaftsmodell gibt. Denn egal ob im Studium, bei Veranstaltungen oder von Wirtschaftsvertreter*innen hörte ich bislang nur, dass es keine Alternative zum Kapitalismus gibt. Im Frühjahr 2022 habe ich gemeinsam mit ecoplus Niederösterreich – dem Bau Energie Umweltcluster ein gefördertes Kooperationsprojekt zur GWÖ ins Leben gerufen, wo 6 Unternehmen aus unterschiedlichsten Branchen mitgemacht haben und gemeinsam an einer Peerevaluierung teilgenommen haben. Dadurch wurde das Bewusstsein für die Themen Menschenwürde, Solidarität, soziale Gerechtigkeit sowie Transparenz und Mitbestimmung vertieft. Ökologische Nachhaltigkeit hatten wir schon in den letzten 30 Jahren im Fokus. Ein weiterer wesentlicher Effekt ist das Kennenlernen von Unternehmen, die schon großartige Projekte, Prozesse und Erfolge in diesen Bereichen feiern durften, sprich viel Inspiration und Austausch. Des Weiteren ist unser Zugang zu all diesen Themen wesentlich strukturierterer, übersichtlicher und koordinierter, vor allem mit Blick auf zukünftig geplante Maßnahmen. Und auch das stärkere Sensibilisieren aller Stakeholder*innen wie Lieferanten, Mitarbeitende, Geldinstitute und Kund*innen hat sich wesentlich verändert.

Was bedeutet es für einen Betrieb konkret, eine Gemeinwohl-Bilanz zu erstellen?

Alle Unterlagen inklusive Handbuch sind auf der Website frei zugänglich. Meiner Erfahrung nach ist es aber ohne Hilfe von GWÖ-Berater*innen extrem schwierig bzw. eine sehr einsame Aufgabe, eine solche Bilanz zu erstellen. Wir haben beim ersten Mal rund 100 Stunden gebraucht, die zweite Runde geht dann schon deutlich schneller. Dank einer Gruppe hat man Gleichgesinnte für Austausch (Frust und Inspiration gleichermaßen), man geht den Weg und Prozess nicht alleine und man hat Deadlines und Meilensteine, die ein kontinuierliches „Dranbleiben“ erleichtern. Hilfreich ist auch die Unterstützung im Unternehmensteam selbst, sprich zwei bis drei Leute sollten gemeinsam daran arbeiten.

Wie sehen Sie hier die Rolle der Installateursbranche?

Ich sehe es branchenunabhängig, jede Branche und jedes Unternehmen kann und sollte in seinem Einflussbereich Maßnahmen setzen. Wir haben den Vorteil, dass unsere Dienstleistung zur Energiewende beitragen kann, aber nur, wenn es uns wirklich um langfristige Energieeffizienz und die richtigen Produkte geht. Ein Installateursunternehmen, das in den letzten 30 Jahren nur Gas und Ölheizungen installiert hat und jetzt unreflektiert eine Luftwärmepumpe nach der anderen einbaut, wird dieser Rolle sicherlich nicht gerecht. Gleichzeitig geht es bei der GWÖ um so viel mehr als Ökologische Nachhaltigkeit, Themen wie Menschenwürde, Solidarität, soziale Gerechtigkeit sowie Transparenz und Mitbestimmung sind bei den wenigsten Unternehmen auf dem Radar.

Welchen Nutzen bringt es, sich trotz des Aufwands zu engagieren?

Tatsache ist, dass Wissen und Einsicht in den seltensten Fällen zu einer Verhaltensveränderung führen. Es ist ein Frage der Einstellung, der Haltung, ob das, was wir rational verstehen, uns auch emotional berührt, so dass wir ab sofort etwas Neues leben wollen. In meinem Fall ist die Sehnsucht und das Verlangen nach sinnvoller Wirtschaft so groß, dass fast alles Vorteile gegenüber dem konventionellen System bringt:

  • Netzwerk für Austausch und Inspiration
  • Strukturierter ganzheitlicher Prozess
  • Konkreter Maßnahmenkatalog für die Zukunft
  • Neuer Fokus, neue Denkweisen, neue Herangehensweise: statt wie kann ich´s billiger machen – wie kann ich´s gemeinwohlorientierter angehen.
  • Vorbild, Image
  • Zukünftige Mitarbeitende, welchen all diese Themen immer wichtiger werden. Geld ist zwar wichtig, aber nicht der ausschlaggebende Faktor bei der Firmenauswahl
  • Neue Kund*innen-Gewinnung

Was sagen Sie Kolleg*innen, die Ihnen sagen „Das ist sicher wichtig, aber mir fehlt die Zeit dazu, um das in meinem beruflichem Alltag zu integrieren?

Wichtiges ist oft nicht dringend, aber entscheidend! Unser Planet ruft uns nicht zehnmal am Tag an und schreibt uns 15 Mails pro Woche und dennoch geht es um nicht weniger als die Existenzgrundlage von uns allen. Und meiner Meinung nach ist es selten eine Frage der Zeit, sondern eine des Fokus, der Aufmerksamkeit. Solange ich als Unternehmer mehr im Unternehmen als am Unternehmen arbeite, wird es schwierig. Und noch ein wichtiger Punkt: Ein Unternehmen kann sich nur so weit entwickeln bzw. wachsen, wie die Geschäftsführung bereit ist zu wachsen – das eine bedingt das andere, denn alles in unseren Unternehmen hat etwas mit uns zu tun.

Wie wirkt sich die „ganzheitliche Sicht“ der Gemeinwohl-Ökonomie“ in Ihrem Unternehmen aus?

Am einfachsten an Beispielen erklärt: wir möchten unsere Kund*innen und Mitarbeitende für die Wichtigkeit der Energiewende begeistern, und das geht nur authentisch, wenn wir es selbst leben, wenn wir darauf achten, wo und wie unser Material hergestellt wird, wie der Standard unseres Firmengebäudes ist, wie wir unsere Mitarbeitende behandeln und entlohnen, mit welchen Autos wir fahren, wo wir unser Geld investieren, uvm.

Was sind die nächsten Schritte auf diesem Weg?

Noch mehr Inspiration und Austausch innerhalb des großartigen Netzwerks der gemeinwohl-bilanzierten Unternehmen. Die definierten nächsten Maßnahmen Schritt für Schritt umsetzen. Die Gemeinwohl-Bilanz nach außen zu Kund*innen tragen, als Folder bei jedem Angebot, auf der Website, auf Social Media uvm. In Verhandlungen mit Lieferant*innen viel mehr auf GWÖ Faktoren achten und danach Entscheidungen treffen, noch konsequenter und achtsamer sein mit dem Ziel in Zukunft fast ausschließlich mit gemeinwohl-bilanzierten Unternehmen zusammenzuarbeiten.

Das Interview wurde von der Redaktion zuhause wohlfühlen geführt.